Dringlicher Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Das Abgeordnetenhaus wolle beschließen:
Der Senat wird aufgefordert, ein Gesamtkonzept der Dokumentation der Berliner Mauer als Zeugnis der Teilung Berlins zu entwickeln, in dem die vorhandenen authentischen Mauerzeugnisse dauerhaftgesichert, sichtbar und verstehbar gemacht werden.
Der Senat wird aufgefordert, in Absprache mit dem Bund einen Diskussionsprozess einzuleiten, ob und an welcher Stelle ein zentrales Denkmal für die an der Mauer getöteten Menschen errichtet werden soll. In diesen Diskussionsprozess sind die Angehörigen, die Betroffenenverbände und der Bezirk einzubeziehen. Bevor dieser Diskussionsprozess nicht abgeschlossen ist, soll von der Errichtung eines zentralen Denkmals abgesehen werden.
Folgende Überlegungen gilt es zu berücksichtigen:
Das Dokumentationszentrum Berliner Mauer an der Bernauer Straße ist aufzuwerten. Der ehemalige Grenzstreifen an der Bernauer Straße und das dort errichtete Mahnmal soll so verändert werden, dass die Größe der Grenze und die von ihr ausgehende Bedrohung und Menschenfeindlichkeit nachvollziehbar werden. Die noch im Besitz des Landes Berlin befindlichen authentischen Bauteile der Grenzanlage an der Bernauer Straße sind dabei zu verwenden.
Zur baulichen Sicherung der drei noch vorhandenen innerstädtischen Wachtürme und der Eastside-Gallery sind die erforderlichen Maßnahmen durchzuführen.
Die entlang der ehemaligen Grenze vorhandenen Denkmale und Erinnerungen an Menschen, die dort getötet wurden, sind auf mögliche inhaltliche oder bildliche Ergänzungen zu überprüfen.
Es ist zu prüfen, an welchen Stellen entlang der ehemaligen Grenze Fototafeln angebracht werden können, die die Situation zu Zeiten der Mauer anschaulich dokumentieren.
Begründung
Berlin fällt der Umgang mit den Symbolen der Teilung Berlins und die Erinnerung an den Tod von Hunderten von Menschen während der Teilung schwer.
Seit der
glücklichen Überwindung der Teilung Deutschlands und Berlins bewegt sich unsere
Stadt im Spannungsfeld zwischen dem Versuch, die sichtbaren Wunden der Teilung
in der Stadt zu heilen und unkenntlich zu machen, und der Notwendigkeit, die
Erinnerung an die Teilung und ihrer Opfer wach zu halten.
Nach dem 9.
November 1989 war die Freude über das Ende der Teilung und die damit
verbundenen Entwicklungschancen Berlins allgegenwärtig. Diese berechtigte
Freude und die Aufgabe, die zwei Stadthälften Berlins zusammenzuführen, hat
dazu geführt, dass die Landesregierungen und ihre Verwaltung es versäumt haben,
ein schlüssiges Konzept für das Gedenken an die Teilung und ihrer Opfer zu
entwickeln und umzusetzen. Der Erhalt von Mauer, Wachtürmen und Grenzstreifen
hatte keine Chance im Wettstreit mit der ökonomischen oder verkehrlichen
Verwertung der entsprechenden Grundstücke durch die öffentliche Hand oder
Private. Dieses Vorgehen wurde von einer großen Mehrheit im Berliner
Abgeordnetenhaus befürwortet.
Nur dem
unermüdlichen und unbeirrbaren Engagement weniger Menschen ist es zu verdanken,
dass zumindest einige bauliche Zeugen der Teilung Berlins dieses Vorgehen
überstanden. Ohne den Einsatz dieser Menschen wäre in Berlin und Brandenburg
wohl kein Wachturm, kein Stück Grenzstreifen und kein Teil der ehemaligen Mauer
im Stadtbild verblieben. Diesen Menschen gebührt der Dank Berlins.
Heute erkennen
wir, wie unverzichtbar diese authentischen Zeugen der Vergangenheit sind. Doch
die vorhandenen Orte des Erinnerns an die Opfer der Mauer, die Gedenkstätten
und Dokumentationszentren und die verschiedenen baulichen Zeugen der deutschen
Teilung fügen sich nicht zu einem Bild, das die Teilung Berlins und ihrer
Folgen nachvollziehbar macht. Viele Orte und viele Formen des Gedenkens wirken
zufällig und ohne Bindung zueinander. Es ist spürbar, dass sie ihr Fortbestehen
weniger einer bewussten Entscheidung des Landes und mehr der Hartnäckigkeit
Einzelner zu verdanken haben. Diese spürbare Konzeptionslosigkeit wiegt umso
schwerer, weil Menschen aus dem In- und Ausland Berlin als den Ort ansehen, an
dem die Konfrontation zwischen Ost und West nachzuempfinden ist. Auch für viele
Berliner und Berlinerinnen wiegt dieses Defizit schwer. Viele Probleme des
Landes Berlins liegen in Berlins Teilung begründet. Um so wichtiger ist,
Berlins Einheit als Geschenk im Bewusstsein seiner Bevölkerung wach zu
halten.
Viele Menschen
teilen inzwischen diese Anforderung an den Umgang mit den noch vorhandenen
Grenzanlagen. Den Entscheidungsträgern des Bundes und des Landes ist ein solcher
Umgang aber noch immer fremd. Die fehlende Unterstützung für den Erhalt des
Wachturms an der Kieler Straße, das ungeklärte Schicksal von Ben Wargins
Parlament der Bäume, Berlins Weigerung, seinen Beitrag zum Erhalt des grünen
Bandes zwischen Ost und West zu leisten, die vollständige Zerstörung der
Hinterlandmauer zugunsten des Neubaus der A 101 und der beschämende Zustand der
Eastside-Gallery sind Beispiele dafür.
Es ist
nachvollziehbar, dass Menschen aus der Enttäuschung über den unbefriedigenden
Umgang mit den ehemaligen
Grenzanlagen selbstständig aktiv werden. Dies trifft insbesondere für das Areal
des Checkpoint Charlies zu, wo die jahrelange Hilf- und Ideenlosigkeit der
politisch Verantwortlichen einen unangemessenen Souvenir- und Ramschladen-Rummel
zur Folge hatte.
Die dortige
Wiedererrichtung der ehemaligen Mauer und das Aufstellen von Holzkreuzen als
Erinnerung an die an der Mauer ermordeten Menschen ist allerdings zwiespältig.
Denn es legt den Eindruck nahe, das die
Initiatoren einen Alleinvertretungsanspruch für das Mauergedenken
beanspruchen und nicht frei von eigenen Interessen sind. Die vorsätzliche
Täuschung der Behörden hinsichtlich der Holzkreuze läuft dem Anliegen eines
würdigeren Gedenkens an die Maueropfer zuwider. Auch ist zu befürchten, dass
eine derartige Verdichtung des an der Mauer erlittenen Leides mehr durch ihre ästhetische
Wucht als durch ihre inhaltliche Auseinandersetzung wirkt.
So strittig
der Aufbau am Checkpoint Charlie ist, provoziert er doch eine neue und
gründliche Auseinandersetzung mit dem Gedenken an die Teilung Berlins und dem
Umgang mit den baulichen Zeugen dieser Teilung.
Die Erfahrungen der letzten Jahre legen nahe, dass ein rein museales Gedenken an die Teilung nicht ausreichend ist, um das Unfassbare der Teilung Berlins fassbar zu machen. Berlin war als ganzes Opfer der Teilung und Berlin muss auch als ganzes die Geschichte der Teilung erzählen. So grausam, so alltäglich und so vielfältig die Teilung der Stadt und ihre Folgen waren, so grausam, so alltäglich und so vielfältig muss auch die Darstellung der Teilung sein.
Berlin braucht
keine neue zentrale Gedenkstätte, in der die Teilung künstlerisch abstrahiert
wird und Verfahren und Konzept einer ausgewählten Minderheit vorbehalten
bleibt. Berlin braucht die authentischen Zeugen der Teilung. Nur mit ihrer
Hilfe lassen sich die vorhandenen Versuche der Dokumentation, Erklärung und
künstlerischen Abstrahierung zu einem Ganzen verbinden. Aufgabe von Bund, Land
und betroffenen Bezirken muss es daher sein, nicht Neues zu schaffen, sondern
das Vorhandene dauerhaft zu sichern und in der Stadt für die Menschen erkennbar
zu verbinden. Dies kann nur gelingen, wenn diejenigen mitwirken können, deren
Engagement und Wissen viel zu lange ungewürdigt blieb.
Bis eine
solcherart im Berliner Stadtbild verwurzelte Erinnerung an die Teilung der
Stadt umgesetzt wurde, müssen alle authentischen baulichen Zeugen dieser Teilung
durch ein Moratorium geschützt werden.
Nicht zuletzt ist die Landesregierung aufgerufen, die Frage nach einem angemessenen Gedenken an die Teilung der Stadt zu einer Frage aller Berliner und Berlinerinnen zu machen und für die Teilhabe der Bevölkerung an der Entscheidungsfindung geeignete Möglichkeiten zu schaffen.
Berlin, den 11. November 2004
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Dr. Klotz
Ratzmann Ströver der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen |
Ausschuss-Kennung
: StadtUmgcxzqsq